Wissenschaftliches Argumentieren
Roter Faden

Von Ihrem Text wird ein roter Faden erwartet. Das bedeutet, dass Ihre Argumentation kohärent durch den gesamten Text aufrechterhalten bleibt. Leser*innen muss durchgehend klar sein, was und wofür Sie argumentieren. Der rote Faden bewegt sich entlang der Beantwortung Ihrer Forschungsfrage und der Bestätigung Ihrer Thesen.
Grundlegendes
Ihre Argumentation muss von der Einleitung bis zum Schlusskapitel schlüssig sein. Das Ziel ist die Beantwortung Ihrer Forschungsfrage und/oder die Bestätigung Ihrer grundlegenden Thesen. Bereits im Exposé und in der Einleitung geben Sie eine Vorschau darauf, wie Sie die Argumente des Textes aufbauen werden. Diesen Aufbau sollten Sie während der gesamten Arbeit aufrechterhalten und Leser*innen dabei unterstützen, Ihre Schlussfolgerungen nachzuvollziehen. Idealerweise prüfen Sie so früh wie möglich, ob Ihre geplanten Kapitel und Argumente tatsächlich der Argumentation dienen, oder ob Ihre Pläne auch Exkurse beinhalten, die von der Hauptargumentation abweichen. In der Schreibwerkstatt finden Sie Hilfestellungen dazu.
Rhetorische Gliederung
Wenn Sie bereits viel zum Thema gelesen haben, erscheinen gewisse Schlussfolgerungen für Sie womöglich logischer als für Leser*innen, die keine Expert*innen sind. Ihr Publikum muss daher mit rhetorischen Mitteln durch den gesamten Text geführt werden. Es bietet sich an, die Forschungsfrage oft zu wiederholen und zu erklären, warum neue Kapitel oder Textabschnitte für ihre Beantwortung vonnöten sind. Ein häufiges Erinnern an die Forschungsfrage mag Ihnen zuerst plump erscheinen, aber der Text wird dadurch üblicherweise leichter verständlich. Essentiell sind zudem verbindende Elemente zu Beginn und Ende eines Kapitels. Sie sollten also zu Beginn eines Kapitels Vorangegangenes kurz und knapp rekapitulieren und am Ende eines Kapitels die nächsten Schritte und deren Zweck ankündigen. Im Folgenden sehen Sie idealtypische Formulierungen zur Organisation des Textes.
Typische Formulierungen
| Zweck | Typische Formulierungen |
|---|---|
| Ziele nennen | Ziel der Arbeit ist... In diesem Essay werde ich... Das Ziel der Arbeit besteht in... |
| Gliederung vorstellen | Zu Beginn werde ich A betrachten. Nach einer Darstellung von A komme ich zu B. Im Anschluss an A... Abschließend/Danach/Dann... |
| Begriffe einführen | A wird im Folgenden als N bezeichnet. Für A wird in dieser Arbeit der Terminus B verwendet. |
| Rückbezüge | In Kapitel x habe ich bereits darauf hingewiesen, dass... Wie schon im letzten Abschnitt aufgezeigt,... Wie eingangs behauptet wurde,... Die bisherigen Anführungen haben bereits... |
| Überleitungen | Im Folgenden sollen die wichtigsten Prozesse vorgestellt werden. Im folgenden Abschnitt wird das Phänomen genauer untersucht. Nach dieser Vorstellung von Phänomen A, ist im folgenden Kapitel die Betrachtung von Prozess B notwendig. Ich werde nun B erläutern. |
| Ankündigungen | Auf die Bedeutung von Quelle A werde ich in Kapitel x zurückkommen. Methode A wird unten im Einzelnen erklärt. |
| Unterthemen nennen oder ausblenden | Dabei werde ich auch die Frage berücksichtigen,... Quelle A kann in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden, weil... |
| Abschlüsse | Zusammenfassend lässt sich sagen, dass... Festzuhalten ist... Zum Abschluss komme ich auf Frage A zurück. |
Friederike Neumann, Schreiben im Geschichtsstudium, Opladen u. Toronto 2018.
Kapitel 12 führt Sie an die Verbesserung Ihrer Gliederung heran. In Kapitel 16 erfahren Sie, wie Sie während der Textüberarbeitung Ihre Argumentation und Sprache weiter präzisieren können.
Martin Kornmeier, Wissenschaftlich schreiben leicht gemacht. Für Bachelor, Master und Dissertation, 8. Auflage, Bern 2018.
Grundlegende Eigenschaften einer gelungenen Gliederung finden Sie im fünften Kapitel dieses leicht verständlichen Ratgebers.
Helga Esselborn-Krumbiegel, Richtig wissenschaftlich schreiben. Wissenschaftssprache in Regeln und Übungen, 5. Auflage, Köln, Wien und Weimar 2017.
Das Kapitel zum "Roten Faden" zeigt einige typische Formulierungen für wissenschaftliche Texte.
Georg Eckert, Thorsten Beigel, Historisch Arbeiten. Handreichung zum Studium, Göttingen 2019.
Befassen Sie sich mit dem Textteil "Reden & Schreiben".
Gabriele Graefen, Melanie Moll, Angelika Steets, Wissenschaftssprache Deutsch. Lesen - verstehen - schreiben. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Frankfurt am Main 2011.
Rhetorische Argumentation
In Ihrem Text werden Sie Ihre Position durch Argumente belegen und Gegenthesen wiederum argumentativ widerlegen müssen. Dabei sollten Sie sachlich vorgehen und an den Forschungsstand anschließen.
Behauptungen belegen
Wenn Sie in Ihrem Text Thesen vertreten, stellen Sie zuerst Behauptungen auf. Für Behauptungen müssen Begründungen angeführt werden und für diese wiederum Belege (bzw. Beispiele). Für starke Argumente ziehen Sie idealerweise mehrere Belege an und gestalten diese präzise, statt schwammige Aussagen zu tätigen. In der Geschichtswissenschaft führt man diese Belege überwiegend mit direkten oder indirekten Zitaten her. Selbst wenn Sie eine empirische Analyse durchführen oder sich im Text mit einer Primärquelle befassen, so müssen Sie dennoch das zugehörige Kontextwissen belegen.
Im Ratgeber von Booth, et. al (2004), S. 115, wird der Aufbau eines Arguments mit den folgenden Fragen hergeleitet:
1. What do you claim?
2. What reasons support that claim?
3. What evidence supports those reasons?
4. Do you acknowledge this alternative/complication/objection, and how do you respond?
5. What principle (warrant) justifies connecting your reasons to your claim?
Je nach Präferenz können Behauptung, Begründung und Beleg oder Beispiel unterschiedlich angeordnet werden.
Zitiert aus "Friederike Hagemeier, Organisationsformen des Burgtheater-Ensembles 1776-1789 – Kollektive künstlerische Selbstverwaltung?" des Seminars "Die 'Erste Wiener Moderne': Wien im 18. Jahrhundert":
Die Sesshaftwerdung der SchauspielerInnen durch die Arbeit an einem stehenden Haus war ein wichtiger Faktor für die Verbürgerlichung des Schauspielerberufs im 18. Jahrhundert, die einen sozialen Aufstieg der SchauspielerInnen bedeutete. 28 Während Schauspieler zu Anfang des Jahrhunderts noch mit Gauklern und Marktschreiern gleichgesetzt wurden, wurden sie zum Ende des Jahrhunderts als Hofbeamte akzeptiert und es wurde ihnen, auch aufgrund einer am Beginn der Professionalisierung stehenden Ausbildung, ein Künstler-Status zuerkannt. 29 Der soziale Aufstieg der HofschauspielerInnen lässt sich auch an der sogenannten 'Ehrengalerie' des Burgtheaters ablesen. Bei dieser Porträtsammlung handelt es sich um vom kaiserlichen Hofmaler Joseph Hickel angefertigte Bildnisse renommierter SchauspielerInnen. Dies stellt eine Besonderheit dar, da Hickel eigentlich nur Adlige porträ-tierte, und zeigt gleichzeitig die Anerkennung und Ehrung der darstellenden Künstler als "Vor-bildfiguren der Nation". 30
Widerlegungen und Konzessionen
Sie sollten potentielle Gegenargumente bereits in Ihrem Text vorwegnehmen und widerlegen. Ein Überblick des Forschungsstandes kann Ihnen vergangene Argumente und Perspektiven nahebringen. Möglicherweise gibt es innerhalb Ihres Themas auch heute noch Forschungskontroversen. Dann müssen Sie sich positionieren und mit Belegen erläutern, wieso Ihnen die andere Position nicht sinnvoll erscheint. Mündliche Präsentationen sind eine weitere Möglichkeit, um Gegenargumenten zu begegnen. Versuchen Sie Fragen, Diskussionen und andere Anregungen Ihrer Zuhörer*innen in den Text zu integrieren, sie dort argumentativ zu widerlegen und damit den späteren Leser*innen zuvorzukommen. Oder führen Sie Konzessionen an. Erörtern Sie beispielsweise, wieso Gegenargumente valide sein können, aber nicht bedeutsam für die Perspektive Ihrer eigenen Thesen. Oder erklären Sie mit Belegen, wieso Teile anderer Thesen modifiziert werden sollten.
Zitiert aus "Klaus Kainz, Darstellung von Antisemitismus im Film-Noir: Eine Analyse von 'Crossfire' und 'Open Secret'" des Kurses "Gegen Xenophobie und Antisemitismus: Jewish Film Noir"
Diese Kritik untergräbt zwar keineswegs die anderweitig überwiegend positive Rezeption von 'Crossfire', wie sie hier angeführt wurde. Auch macht dies nicht die Brisanz des Films nichtig. Die Produktion Crossfire wurde wegen seinen kontroversen Themen - Antisemitismus in der eigenen Armee - laut Aussagen des Regisseurs gar fast abgesagt. 10 Dennoch ist gerade der Kritikpunkt Cohens wieder aktuell. So ist ein Kernstück des Films die Rede, mit der der Ermittler den vermeintlich dümmlichen Soldaten überzeugt, gegen den Leutnant zu handeln. Anhand seiner irisch-katholischen Familiengeschichte erörtert der Ermittler prägnant die Banalität von Fremdenhass in einer Rede, die zwar bis heute sicherlich universell für sämtliche Vorurteile gegen Minderheiten verstanden werden kann. Aber genau hier ist der Film auch trügerisch. Am Anfang der Rede heißt es: “He [Montgomery] is just one guy, we don’t get him very often”. Auch wird der Rassismus innerhalb des Militärs relativiert, wenn kurz darauf ein Major hervorhebt, “the army has never been proud of men like Montgomery”. Das unterstreicht die Stilisierung des rassistischen Mörders als isolierten Ausnahmefall sowie Einzeltäter und versperrt jegliche Systemkritik.
Zitiert aus "Matthias Baltas, Symbolische Kommunikation auf interkultureller Ebene Auf der Suche nach einem Konzept" des Seminars "Rituals – A historiographic Approach to the Concepts":
Abgesehen vom soeben Besprochenen, bleibt Nechaeva schlussendlich in ihren Betrachtungen doch auf einer recht allgemeinen Ebene. Dies ist freilich ihrer grundsätzlichen Zielsetzung geschuldet, der Untersuchung des gesamten Systems der spätantiken, oströmischen Diplomatie. 111 Bezüglich eines Erkenntnisgewinns zur interkulturellen symbolischen Kommunikation ist positiv hervorzuheben, dass Nechaeva darum bemüht ist möglichst oft die Positionen beider Seiten sowie gegenseitige Einflüsse miteinzubeziehen.
Absolute Aussagen vermeiden
Bleiben Sie sachlich, auch wenn Sie andere Standpunkte widerlegen wollen. Wissenschaftssprache sollte eine gewisse Sachlichkeit beibehalten und in keine Polemik verfallen. Zudem sind apodiktische Wahrheits- oder Objektivitätsansprüche der eigenen Thesen zu vermeiden. Sie schließen mit Ihrer Arbeit an einen Forschungsstand an, aber müssen Ihren Text auch für den weiteren wissenschaftlichen Diskurs offen gestalten. Zu behaupten, man würde alleine die Quelle richtig interpretieren, oder niemand sonst habe ein Phänomen objektiv richtig verstanden, schneidet einen weiteren Diskurs ab. Selbstverständlich wollen Sie starke Argumente vertreten, aber Thesen müssen theoretisch falsifizierbar bleiben. Absolute Aussagen sind zudem im Sinne von Verallgemeinerungen Ihrer Thesen zu vermeiden, um einfachen Widerlegungen vorzubeugen. Aussagen wie "Für alle Parteien dieser Zeit konstituierten sich Massenbewegungen" werden schließlich bei der ersten Ausnahme zur Gänze widerlegt.
Wayne C. Booth, Gregory G. Colomb, Joseph M. Williams, The Craft of Research, 2. Auflage, Chicago u. London 2004.
Lesen Sie den Abschnitt "Making a claim and supporting it" um zu erfahren, wie man grundlegend wissenschaftliche Argumente aufbaut.
Friederike Neumann, Schreiben im Geschichtsstudium, Opladen u. Toronto 2018.
Im Kapitel 16 erfahren Sie, wie Sie während der Textüberarbeitung Ihre Argumentation und Sprache verbessern können.
Otto Kruse, Lesen und Schreiben. Der richtige Umgang mit Texten im Studium, 3. Auflage, München u. Konstanz 2018.
In diesem fachübergreifenden Überblick werden unter anderem die Eigenschaften von Wissenschaftssprache und gelungener Argumentation in universitären Textsorten vermittelt. Sehen Sie sich vor allem das Kapitel zu den "Konventionen wissenschaftlicher Texte" an.
Helga Esselborn-Krumbiegel, Richtig wissenschaftlich schreiben. Wissenschaftssprache in Regeln und Übungen, 5. Auflage, Köln, Wien und Weimar 2017.
Dieser Ratgeber besitzt viele konkrete Formulierungshilfen von Kapitel 7 bis 12.
Georg Eckert, Thorsten Beigel, Historisch Arbeiten. Handreichung zum Studium, Göttingen 2019.
Befassen Sie sich mit dem Textteil "Reden & Schreiben".
Otto Kruse, Wissenschaftliche Textproduktion und Schreibdidaktik. Schreibprobleme sind nicht einfach Probleme der Studierenden, sie sind auch die Probleme der Wissenschaft selbst, in: Eva-Maria Jakobs (Hg.), Schreiben in den Wissenschaften, Frankfurt am Main 2004, 37-59.
Gunilla Budde, Quellen, Quellen, Quellen... in: Gunilla Budde, Dagmar Freist, Hilke Günther-Arndt, Geschichte. Studium – Wissenschaft – Beruf, Berlin 2008, 52-69.
Lesen Sie hier, wie man idealerweise mit Primärquellen argumentiert.