Alternativbegriff "Historisches Material"

Der Begriff der "Quelle" ist sehr schillernd und lässt viele Assoziationen zu - zum Beispiel die eines unverfälschten, direkten Zugriffs auf die Vergangenheit, was von vielen Historiker*innen heute skeptisch betrachtet wird. So plädierte zuletzt Achim Landwehr dafür, anstelle des Begriffs der "Quelle" den Begriff "Historisches Material" zu verwenden. Mit Hilfe dieses Begriffs sollte betont werden, dass die traditionell als "Quellen" bezeichneten Materialien uns die Vergangenheit nicht so zeigen, wie es eigentlich gewesen, sondern eine Beschäftigung mit der Vergangenheit zulassen. Der Begriff "Historisches Material" bezeichnet nach Landwehr "zunächst all diejenigen Objekte – ob es sich um Texte, Bilder, Alltagsgegenstände oder ähnliches handelt – , die uns aus der Vergangenheit überliefert worden sind, unabhängig von ihrer Beschaffenheit oder ihrem […] Wert. [...] Durch den Begriff 'historisches Material' soll deutlicher als in anderen Zusammenhängen zum Ausdruck gebracht werden, dass dieses Material per se keinen 'Blick in die Vergangenheit' offeriert, sondern dass es in der Gegenwart und für die Gegenwart eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erlaubt." 

Der Begriff "Historisches Material" ist dabei keine Erfindung von Landwehr, sondern wurde bereits von Johann Gustav Droysen im 19. Jahrhundert verwendet, auf den die klassische Trias aus Heuristik Quellenkritik und Interpretation als Methode zurückgeht und der ein grundlegendes Werk zur Geschichtstheorie verfasste, die sogenannte "Historik".

Literatur

  • Horst Walter Blanke, Historik, in: Stefan Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe (Stuttgart 2002), S.148–151, hier S.149-150 zur "Historik" als grundlegendes Werk der Geschichtstheorie.
  • Stefan Jordan, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, 4., aktualisierte Auflage 2018, (Orientierung Geschichte, 2009), S.47-50 zum Begriff "Historisches Material" bei Droysen sowie zu Droysen und Trias Heuristik, Quellenkritik und Interpretation. Online-Zugang zur 5. aktual. Auflage: https://www.utb.de/doi/book/10.36198/9783838557601 ↗ [über u:access ↗].
  • Achim Landwehr, Historisches Material, in: Ute Frietsch/Jörg Rogge (Hg.), Über die Praxis des kulturwissenschaftlichen Arbeitens. Ein Handwörterbuch, Bielefeld 2013, S.184–188, DOI 10.1515/transcript.9783839422489.173 ↗ [über u:access ↗] hier S.184 generell zu Begriff "Historisches Material" und diesbzgl. hier angeführten Überlegungen & Ausführungen sowie "zunächst all diejenigen [...] der Vergangenheit erlaubt.".
  • Michael Zimmermann, Quelle als Metapher. Überlegungen zur Historisierung einer historiographischen Selbstver-ständlichkeit, in: Historische Anthropologie, 5 (1997), S.268–287. Online-Zugang: http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PID=PPN597796971_0005%7CLOG_0024 ↗ [über u:access ↗].