Forschungsfrage

Nach der Klärung Ihrer individuellen Interessen und dem Einarbeiten in den Forschungsstand, müssen Sie Ihre persönliche Fragestellung im wissenschaftlichen Feld positionieren und die leitenden Erkenntnisinteressen definieren.

Die Fragestellung ist der zentrale Bestandteil Ihrer Arbeit und sie bestimmt fast alle wichtigen Schritte im weiteren Arbeitsprozess.


Entwicklung einer wissenschaftlichen Fragestellung

Aufbauend auf Ihren Interessen und dem aktuellen Forschungsstand (Fachliteratur) entwickeln Sie dabei eine wissenschaftliche Fragestellung. Diese muss systematisch aufgebaut sein: Übergeordnete Fragen (Orientierungs- oder leitende Fragen zu einem Gesamtthema) bestehen aus mehreren untergeordneten Fragen (Detailfragen zu Spezialthemen); vielfach existieren auch Querbezüge zwischen den Fragestellungen. Die einzelnen Fragestellungen und ihre Beziehungen müssen genau beschrieben und im Laufe des Forschungsprozesses immer wieder hinterfragt werden. Die Wissenschaftlichkeit der Fragestellung muss mit Bezugnahme auf den Forschungsstand (aktuelle Literatur) dokumentiert werden. Außerdem sollten Sie überlegen, ob Ihre Fragestellungen zu eng oder zu weit formuliert sind. Keinesfalls sollten die Anforderungen zu umfassend sein, da im Laufe der Arbeit immer wieder neue Detailfragen auftauchen und Zeitressourcen binden können. 

Die Rolle der Forschungsfrage

Eine Fragestellung konkretisiert Ihre Auseinandersetzung mit dem gewählten Thema. Der weitere Schreib- und Arbeitsprozess wird Ihnen deutlich leichter fallen, sobald Sie eine Fragestellung konkretisiert haben. Mit einer soliden Fragestellung können Sie während Ihrer Recherche beispielsweise deutlich präziser relevante Literatur zum Lesen auswählen. Zudem müssen die Fragestellung und die mit ihr einhergehenden Thesen den roten Faden Ihrer gesamten Argumentation bilden. Üblicherweise wird erwartet, dass Sie eine Fragestellung bereits in Ihrem Exposé sowie in mündlichen Präsentationen vorstellen können.

Eigenschaften

Eine Fragestellung muss präzise sein. Der Umfang von universitären Arbeiten erlaubt keine zu großen Fragestellungen, weswegen Sie diese streng präzisieren müssen. Fragen wie "Welchen Einfluss hatte das Aufkommen von Supermärkten auf die Gesellschaft?" oder "Warum kam es im Mittelalter zum Streit zwischen weltlichen und kirchlichen Mächten?" wären für sämtliche Kurs- oder Seminararbeiten ungeeignet, da eine lückenlose Beantwortung zahlreiche Aspekte und Prozesse abdecken müsste, die allesamt bereits ganze Bücher füllen könnten. Sie können Fragen anhand der Methoden in der Schreibwerkstatt begrenzen.

Umgekehrt darf die Fragestellung nicht zu eng gestellt werden. Sie darf nicht mit "Ja" oder "Nein" beantwortbar sein, oder durch simple Fakten. Eine ungeeignete Forschungsfrage wäre also "Wie viele Europäer sind im Jahr 1850 in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert?".

Die Fragestellungen in wissenschaftlichen Arbeiten sollten zwar fachrelevant sein und Forschungslücken oder neue Perspektiven aufzeigen. Während Ihres Studiums wird dies aber nicht von Ihnen erwartet. Für die meisten universitären Arbeiten wird es reichen, wenn Sie an bereits vorhandene Thesen im Forschungsstand anschließen oder diese leicht modifizieren. 

Grundtypen von Fragestellungen

Anbei sehen Sie typische Formen der Fragestellung, wie Sie häufig auftauchen und idealtypisch formuliert werden. Gewisse Formen von Forschungsfragen, wie die Prognose oder Gestaltungsvorschläge, sind in der Geschichtswissenschaft weniger üblich.

Fragetyp Typische Frageformen
Erklärung Warum hat Phänomen A stattgefunden? Warum passt Quelle A nicht zu anderen Quellen desselben Prozesses?
Beschreibung Wie ist etwas passiert? Was für eine Entwicklung hat stattgefunden? Inwiefern zeugt Prozess A von Phänomen B?
Vergleich Wie ist Phänomen A anders als Phänomen B? Warum ist Prozess A anders als Prozess B? Was ist der Unterschied zwischen A und B?
Bewertung/Kritik Wie ist Quelle A vor Phänomen B zu bewerten?

Beispiele für wissenschaftliche Fragestellung

zitiert aus "Proseminar für Zeitgeschichte: Jüdisches Leben in Wien vor der Shoah":

In der folgenden Arbeit möchte ich einen kurzen Überblick über die Tendenzen und Inhalte, den sozialen Kontext und die damalige gesellschaftliche Sichtweise jüdischer Musikerinnen und Musiker in Wien vor bzw. während der Zeit des Nationalsozialismus geben. Ich werde dabei exemplarisch auf einzelne Künstler genauer eingehen, denn eine umfassende Erörterung der Thematik würde wohl den Rahmen dieser Studie sprengen. Folgende Fragestellungen warfen sich für mich bei der Reflexion über dieses Thema auf: Wie kann man das allgemeine Musikverständnis während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich im Groben klassifizieren? Wer waren die 'Vorreiter' der deutschen Musik, wenn es eine Musik die man nach bestimmten Kriterien als "deutsch" bezeichnen kann überhaupt gab? Wie begann mit dem Nazi-Terror die Ausschaltung des jüdischen Musik- und Kulturlebens? Gab es in den Konzentrationslagern ein kulturelles Leben, und wie sah dieses aus?

 

zitiert aus der Proseminar-Arbeit "Katharina Kührner, Bettler*innen und Vagant*innen in der Statistik der Neuzeit": 

Die zu analysierenden statistischen Erhebungen finden sich in der Dissertation "Statistik der Bettler und Vaganten im Königreich Bayern" aus dem Jahre 1865 von Georg von Mayr in Form von statistischen Tafeln wieder. Anhand der Dissertation des bayrischen Statistikers und der darin enthaltenen statistischen Tafeln sollen folgende Fragestellungen nachgegangen werden: Wie verlief die Konskription der Bettler*innen und Vagant*innen? Welche Konskriptionsmerkmale enthalten die Statistiken der Bettler*innen und Vagant*innen? Was kann aus der Statistik der Bettler*innen und Vagant*innen abgeleitet werden?

 

zitiert aus der Hausaufgabe "Helene Lozar, Die Außerkraftsetzung der BürgerInnenrechte der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus. Mit besonderem Fokus auf die 'Nürnberger Rassengesetze' 1935" des Proseminars "Grund- und Menschenrechte":

Meiner Meinung nach, lässt sich dieser Prozess der Degradierung und rechtlichen Außerkraft-setzung in drei Phasen einteilen (1933-35, 1935-38 und 1938-41). Den Beginn der Maßnah-men, um die als "Juden" bezeichneten Deutschen ihrer Grundrechte zu berauben, bildete das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 und der Höhe-punkt wurde mit den "Nürnberger Rassegesetzen" 2 vom 15. September 1935 erreicht, die das Hauptgewicht der rassistischen Utopie trugen und auf eine neue völkische Identität abzielten. Dabei ergeben sich in Zuge der Bearbeitung dieser These folgende Fragen: Inwiefern wurden die Grundrechte verletzt und stellen diese Gesetze als rassendiskriminierende Regelungen einen zivilrechtlichen Sonderfall im damaligen Zivilrecht dar oder fügen sie sich konsequent in die damalige Rechtsentwicklung ein?