Merkmale des wissenschaftlichen Arbeitens

Geschichtswissenschaftlich Arbeiten können Sie nicht auf beliebige Art und Weise, Sie müssen dabei bestimmte Methoden und Techniken befolgen: Von der Literatur- und Quellenrecherche bis zur Präsentation und Niederschrift der Erkenntnisse gestaltet es sich als geregeltes und erlernbares Verfahren, in dem Wissen methodisch und nachprüfbar erarbeitet wird.


Geschichte als Wissenschaft

Wissenschaftlich zu arbeiten bedeutet systematisch zu arbeiten. Sie schreiben also nicht einfach auf, was ihnen zu einem bestimmten selbstgewählten oder vorgegebenen Thema gerade einfällt, sondern verfolgen eine oder mehrere klare Fragestellungen oder Hypothesen, die am Beginn der Arbeit stehen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema geschieht strukturiert, denn der klare Aufbau Ihrer Arbeit ermöglicht es, Ihre Argumentation nachvollziehbar und damit diskussionsfähig bzw. kritisierbar zu machen. Ein wissenschaftlicher Text sollte also die Anforderungen an die Verständlichkeit mit dem Wunsch nach Überprüfbarkeit kombinieren. Informieren Sie daher Ihre Leser/innen möglichst zu Beginn des Textes über das methodische Vorgehen, die Absicht und die Konzeption des Textes.

Sachlich begründen

Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet Argumente sachlich und fundamentiert zu begründen. Sie sollten daher Aussagen und Urteile auf Grundlage von nachvollziehbaren und überprüfbaren Kriterien treffen. Sie müssen sich auf Fakten beziehen, die intersubjektiv nachvollziehbar sind. Manche sprechen hierbei von 'Objektivität', aber ein völlig 'objektives' Schreiben werden Sie nicht erreichen können - es ist also vor allem die Überprüfbarkeit Ihrer Aussagen gemeint. Sie müssen eigenständige Standpunkte und Thesen vertreten, also subjektive Einschätzungen wissenschaftlich-fundiert begründen. Handelt es sich um einen Gedankengang, der sich bewusst und begründet von anderen Forschungsaussagen unterscheidet, besteht kein Grund diesen zu verheimlichen, solange die Argumentation oder Interpretation auf nachweisbaren Quellen beruht und sich in den wissenschaftlichen Diskurs integriert (siehe Forschungsstand).

Wissenschaftlicher Forschungsstand

Wissenschaftliches Arbeiten hat das Ziel, einen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt zu leisten und ist daher vor allem auch eine Auseinandersetzung mit anderen Arbeiten. In Ihrer Arbeit sollten Sie also auf den aktuellen Stand der Forschung eingehen und mit Ihren eigenen Fragen Bezug auf den wissenschaftlichen Diskussionsstand nehmen. Wissenschaftliche Aussagen sollten neu sein oder zumindest schon Bekanntes unter einem neuen Blickwinkel wiedergeben. Die schlichte Darstellung schon bekannter Sachverhalte entspricht nicht den Kriterien der Wissenschaftlichkeit. Das gilt jedoch üblicherweise nicht für Kurs/Proseminar- und Seminararbeiten, denn hier werden Sie voraussichtlich als Einstieg ins wissenschaftliche Arbeiten das Recherchieren und Auswerten von schon Bekanntem üben.

Abgrenzbarer Forschungsgegenstand

Im Zentrum des wissenschaftlichen Arbeitens sollte ein abgrenzbarer Gegenstand stehen. Die Forschenden sollten den Forschungsgegenstand beschreiben, ihn thematisch und zeitlich eingrenzen und damit ein möglichst genaues Untersuchungsfeld bestimmen.

Wissenschaftliche Kommunikation

Auch wenn Sie beim Verfassen von Arbeiten darauf achten sollten, sich allgemein verständlich auszudrücken, dienen wissenschaftliche Arbeiten vor allem der Kommunikation unter Wissenschaftler*innen. Sie müssen daher nicht unbedingt praktische Fragen beantworten oder konkrete Lösungsvorschläge präsentieren. Vielmehr sollten Sie einen Beitrag liefern, der die Grundlage für weiterführende Diskussionen darstellen kann. Um eine einheitliche Diskussionsgrundlage herzustellen, müssen wissenschaftliche Arbeiten aber begriffs- und definitionsscharf gehalten sein, und damit für Fachkolleg*innen eindeutig verstehbar sein. Um Missverständnisse zu vermeiden, definieren Sie deshalb schon zu Beginn zentrale Begriffe Ihrer Arbeit.

Quellen und Literatur

Geschichtswissenschaftliches Arbeiten basiert in der Regel auf der Auswertung von Quellen und Literatur: Quellen sind die historische Informationsgrundlage, es handelt sich dabei sowohl um Archivmaterial, als auch um museale und archäologische Objekte, Denkmäler und andere Gegenstände, die in textlicher, bildlicher, dinglicher Form, als Tonträger, als Film oder als Video oder digital vorliegen können. Unter "Literatur" werden nicht - wie im Alltagssprachgebrauch - belletristische Werke wie Romane oder Gedichte verstanden, sondern wissenschaftliche Texte, die auch als "Forschungsliteratur" bezeichnet werden. Um den Kriterien der Wissenschaftlichkeit zu genügen, muss Ihre Auswahl in jedem Fall ausreichend und ausgewogen, d.h. unterschiedliche Forschungsmeinungen berücksichtigend, sein. Um die Nachprüfbarkeit ihrer wissenschaftlichen Argumentation zu gewährleisten, müssen alle verwendeten Quellen, die Literatur sowie die damit erarbeiteten Erkenntnisse in einer allgemein gültigen Form, zum Beispiel mit Zitaten belegt werden.

Fragestellung und Hypothesen

Als Beiträge und Produkte einer fragenorientierten Forschungsdisziplin sollten geschichtswissenschaftliche Arbeiten darum bemüht sein, im wissenschaftlichen Forschungsprozess neue Thesen zu bilden. Im Unterschied zu den vom persönlichen Interesse abgeleiteten Fragen, die noch Unschärfen aufweisen können, müssen wissenschaftliche Thesen als exakte Aussagen formuliert werden. Das bedeutet, dass es sich dabei nicht um Mutmaßungen handeln darf sondern um wissenschaftliche, mit Hilfe von Literatur und anderen Informationen, begründete Annahmen. Diese müssen dann in weiterer Folge bewiesen oder aber - wenn sie sich als falsch herausstellen - verworfen werden. Wenn sich eine These als falsch herausstellen sollte, ist damit die Arbeit aber nicht abgeschlossen. Nun muss versucht werden mithilfe von Literatur bzw. anderen Informationen Begründungen für das Scheitern der These zu finden, und diese in der Folge mit Hilfe der neuen Information modifiziert und erneut überprüft werden.

Theoretische Reflexion

Theoretische Reflexion ist ein Bestandteil der geschichtswissenschaftlichen Ausbildung. Jede Fragestellung, die Auswahl der Quellen sowie die Argumentation orientieren sich - oft implizit - an bestimmten Annahmen darüber, wie z.B. Gesellschaften aufgebaut sind oder wie sie funktionieren. Was gefragt und wie beschrieben wird, ist also durch Theorie strukturiert. Auch wenn sich das Wissen über verschiedene Theorien, Forschungsansätze und Konzeptionen erst im Laufe des Studiums formieren wird, sollte auch zu Beginn des Studiums der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass Theorie verwendet und gebraucht wird. Daher sollten zunächst die eigenen Annahmen über die bearbeiteten Gegenstände kritisch reflektiert und die Bedeutung der verwendeten Begriffe klargemacht und definiert werden. Die Aussagen über den Forschungsgegenstand sind insofern immer Teil eines Konzepts oder auch einer Theorie, wobei sich aber subjektives Dafürhalten und ideologische Einflüsse in der Praxis von Historiker*innen nicht vermeiden lassen.