Ansätze

Historiographische Themen können aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden, wobei nicht alle möglichen Betrachtungsweisen Platz in einer Forschungsarbeit finden können. Es ist vollkommen legitim, wenn sich Historiker*innen für eine bestimmte Perspektive entscheiden und auch gar nicht anders möglich. Wichtig ist es aber, diese Perspektive zu benennen. Diesbezüglich spricht man in der Wissenschaft von Ansätzen, oder Forschungsansätzen, in der Geschichtswissenschaft wird auch von historiographischen Ansätzen gesprochen.

Ansätze können eher allgemeine Perspektiven auf ein Thema sein, genauso wie konkretere. Allgemeine Perspektiven wären etwa das, was im BA-Studium Geschichte der Universität Wien unter dem Stichwort "Aspekte" gelehrt wird: Politikgeschichte, Ideengeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte, Kulturgeschichte, Frauen- und Geschlechtergeschichte, Globalgeschichte, et cetera. Ansätze stellen aber auch andere Perspektiven auf Geschichte dar, beispielsweise Historische Anthropologie, Alltagsgeschichte, Mikrogeschichte, Begriffsgeschichte/Historische Semantik, oder auch noch weiter eingegrenzte Perspektiven wie zum Beispiel biographische Ansätze, Selbstzeugnisforschung, Ritualforschung, Kulturgeschichte des Politischen, Netzwerkforschung, et cetera - die Möglichkeiten sind unerschöpflich. Oft gehen Ansätze mit bestimmten Vorannahmen oder theoretischen Implikationen einher und häufig spielt in Forschungsarbeiten nicht nur ein Ansatz eine Rolle, sondern mehrere. 

Als Beispiel kann das Thema "Französische Revolution" dienen:

Bei der "Französischen Revolution" handelt es sich um ein ausuferndes Thema, das aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtet und unterschiedlich befragt werden kann. Wer sich dafür interessiert, wie sich Geschlechterverhältnisse im Zuge der Französischen Revolution veränderten und deshalb analysiert, wie Olympe de Gouges' "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" in zeitgenössischen Schriften rezipiert wurde, wählt so nicht nur einen geschlechterhistorischen Ansatz, sondern auch einen ideengeschichtlichen. Wer sich wiederum für die ökonomischen Ursachen der Französischen Revolution interessiert und deshalb untersucht, wie sich der Brotpreis in den Jahren zuvor veränderte, verwendet damit einen wirtschaftshistorischen Ansatz. Wer sich ebenso für die Ursachen der Französischen Revolution interessiert, aber nicht gerne rechnet, und lieber wissen möchte, wie ein etwaiger Wandel der Wahrnehmung des Königs und seines Amts den Ausbruch der Revolution begünstigte und darum untersucht, wie sich die Darstellung des französischen Königs in politischen Karikaturen veränderte, verfolgt einen politik- und kulturgeschichtlichen Ansatz, je nach konkreter Konzeption des Forschungsvorhabens vielleicht auch einen mediengeschichtlichen. 

Häufig werden Ansätze aber noch genauer bestimmt als in den obigen Beispielen. Historiker*innen nehmen oft auf bestimmte Überlegungen bestimmter Wissenschaftler*innen Bezug, manchmal sogar auf einen ganz bestimmten Text. Neben gewissen Vorannahmen gehen Forschungsansätze in der Regel auch mit bestimmten theoretischen Implikationen einher - insbesondere dann, wenn sie näher beschrieben werden. Daher werden Ansätze in der Praxis genauso dadurch mitbestimmt, auf welche Theorien Bezug genommen wird. Allerdings gehen nicht nur Ansätze mit bestimmten theoretischen Implikationen einher, sondern auch Methoden, die daher ebenfalls den jeweiligen Ansatz mitbestimmen. Außerdem kann ein gewählter Ansatz bestimmte theoretische Vorannahmen und bestimmte Methoden nahelegen oder notwendig machen. Es handelt sich also um eine Art Wechselspiel zwischen Ansatz, Theorie und Methode. Es ist daher oft gar nicht so einfach, Ansatz, Theorie und Methode auseinanderzuhalten. Die Begriffe Ansatz und Methode werden zudem in der Praxis häufig unterschiedlich verwendet und nicht jede*r Historiker*in versteht dasselbe darunter. Mit dieser Uneindeutigkeit gilt es zu leben. Hier wird unter dem Begriff Ansatz wie bereits erläutert eine Perspektive auf bestimmte Themen wie Forschungsfragen verstanden. Sie gehen häufig mit theoretischen Implikationen einher und können bestimmte Methoden nahelegen oder notwendig machen. Der jeweilige Ansatz gibt aber keine oder nur kaum Auskunft darüber, wie Historiker*innen zur Antwort auf ihre Forschungsfrage kommen. Das macht dafür die Methode: Sie macht den Leser*innen klar, wie Historiker*innen zu ihren Ergebnissen gelangen, also auf welche Art und Weise sie zur Antwort auf ihre Forschungsfrage kommen. Darüber hinaus beschreibt die Methode, wie die herangezogenen Quellen konkret analysiert werden. Allerdings können sich Ansatz und Methode bis zu einem gewissen Grad auch überschneiden. 

Dazu sei als Beispiel die Mikrogeschichte angeführt:

Die Mikrogeschichte fokussiert laut Hans Medick "auf ein begrenztes Beobachtungsfeld für historische Rekonstruktionen und Interpretationen, seien es ein Einzelner oder mehrere Individuen, eine soziale Gruppe, ein Dorf, eine Stadt oder ein Stadtteil." Dabei handelt es sich also um eine bestimmte Perspektive, wie auch Medick selbst festhält. Wer in einer wissenschaftlichen Arbeit anführt, ein Thema aus mikrohistorischer Perspektive zu bearbeiten, gibt so Auskunft über den gewählten Ansatz, bis zu einem gewissen Grad aber auch darüber, wie er*sie zur Antwort auf eine Forschungsfrage kommt - nämlich indem die Frage anhand eines "begrenzte[n] Beobachtungsfeld[s]" beantwortet wird. Damit ist aber noch nicht alles gesagt. Denn mit dem Verweis auf die Mikrogeschichte als Ansatz ist noch nicht klar, wie die gewählten Quellen konkret analysiert werden. Dies wird für die Leser*innen festgehalten, indem die jeweilige Methode beschrieben wird. Das Beispiel Mikrogeschichte zeigt: Ansatz und Methode können sich bis zu einem gewissen Grad überschneiden, sind aber nicht dasselbe. 

Wie oben ausgeführt, legen Ansätze häufig bestimmte Methoden nahe oder implizieren diese und bestimmte Methoden können umgekehrt bestimmte Ansätze nahe legen oder implizieren. Selbiges gilt für Theorien: Der Bezug auf bestimmte Theorien kann einen bestimmten Ansatz nahelegen oder vorgeben, genauso gehen Ansätze umgekehrt häufig mit bestimmten theoretischen Vorannahmen einher. Da oft verwirrend ist, was Theorien sind und welchen Zweck sie beim wissenschaftlichen Arbeiten erfüllen können, wird im nächsten Exkurs kurz auf Theorien eingegangen.

Literatur

  • Hans Medick, Mikrohistorie. In: Stefan Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe (Stuttgart 2002), S.215-218, S.217 zu den Ausführungen zur Mikrogeschichte, "auf ein begrenztes Beobachtungsfeld [...] oder ein Stadtteil."; S.215 zur Mikrogeschichte als Perspektive.
  • Judith Wolfsberger, Frei geschrieben. Mut, Freiheit & Strategie für wissenschaftliche Abschlussarbeiten (4., bearb. Aufl., Wien-Köln-Weimar 2016), S.85 zu den Ausführungen zur Methode, zur Methode als Angabe dessen, wie Forschende zur Antwort auf Forschungsfragen kommen. Online-Zugang zur 5. bearb. Auflage: https://www.utb.de/doi/book/10.36198/9783838557403 ↗ [über u:access ↗].